9/2005 – 4/2006
Prof. Dr. Mathias Schwabe / Prof. Dr. Martina Stallmann / David Vust
Veröffentlichung:
Der Abschlussbericht kann über Frau Ramona Gellrich (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg) angefordert werden. Kontakt:
Erste Informationen bieten die Lisum Einleitungspräsentation, welche hier und die Lisum Teilbericht-Präsentation, welche hier zu finden ist.
Auftraggeber
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (als Fachbehörde) und Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Brandenburg (als Verwalter und Treuhänder der ESF-Mittel)
Aufgabe
Gegenstand der Untersuchung waren neun Schulverweigerer-Projekte im Land Brandenburg, die in gemeinsamer Verantwortung von Schule (Lehrer) und Jugendhilfeträger (Sozialpädagogen) zumeist an einem schulexternen Ort durchgeführt werden. Die Ministerien erwarteten von der Evaluation vor allem Aussagen zur Prozess-, Konzept- und Ergebnisqualität der neun Projekte, von denen sechs seit mindestens zwei Jahren und drei seit einem Jahr arbeiten. Die öffentlich ausgeschriebene Evaluation wurde u. a. aufgrund der Finanzierung der „integrierten Projekte“ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) durchgeführt.
Vorgehen/Methode
Das Evaluationsdesign bestand aus einem Mix aus quantitativen und qualitativen Erhebungsinstrumenten. Insgesamt wurden sechs Teiluntersuchungen durchgeführt:
- 92 aktuelle Teilnehmer beantworteten einen standardisierten Fragebogen zur Entstehung ihrer Schulverweigerung, zum Erleben des Projektalltags, zu ihren Zukunftserwartungen. Darüber hinaus gaben 50 ehemalige Teilnehmer Auskunft über ihren derzeitigen Beschäftigungsstatus (Ausbildung, Arbeitsamtmaßnahme, keine regelmäßige Tätigkeit) und ihre retrospektive Beurteilung des Projektes. Die Angaben wurden mit Hilfe verschiedener statistischer Verfahren aufbereitet und in Form von Graphiken und Tabellen dargestellt.
- 22 Jugendliche wurden zu ihren Erfahrungen im Projekt (qualitativ) interviewt. Die Aussagen wurden transkribiert und mit Hilfe der Analysesoftware MAXqda ausgewertet.
- Neun Mitarbeiterteams wurden im Rahmen von Gruppeninterviews zu relevanten Aspekten ihrer Arbeit in den integrierten Projekten befragt. Ihre Antworten wurden einer Inhaltsanalyse unterzogen.
- Neun Konzepte wurden in Bezug auf ihre Konzeptqualität untersucht und bewertet. Dazu wurden auch ca. 80 Arbeitsinstrumente (sozialpädagogische Methoden, Verfahren, Dokumentationsbogen) einer Inhalts- und Qualitätsanalyse unterzogen.
- Für sechs Standorte fanden Einzelinterviews mit den Geschäftsführern der Projekte, den Schulleitern, den Schulräten und den Jugendamtsleitern statt. In den Interviews wurde vor allem auf die Kooperationsbeziehungen von Ämtern, Behörden und Institutionen fokussiert.
Ausgewählte Ergebnisse
- Schulverweigerung setzt vor allem nach dem Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I ein und verfestigt sich im Verlauf der 7. Klasse. Schulverweigerung kann demnach als eine Folge eines misslungenen Übergangs von einer Schulform zur nächsten interpretiert werden. Trotz zum Teil massiver und langanhaltender Verweigerung halten die meisten Schüler einen Restkontakt zu „ihrer“ Schule und geben Schule als Perspektive nie ganz auf.
- Die Jugendlichen geben zu 83 % an, sich in den Projekten wohl bzw. sehr wohl zu fühlen. Männliche und weibliche Jugendliche unterscheiden sich dabei nicht. In sechs Projekten liegt der Anteil positiver Bewertungen sogar bei über 90 %. In den meisten Projekten haben die Jugendlichen den Eindruck, von engagierten Lehrern und Sozialpädagogen betreut zu werden. In sechs Projekten sind die Jugendlichen mit den Bereichen „Unterricht“, „praktische Arbeit“ und „Freizeitangebote“ zufrieden bis sehr zufrieden.
- Die Jugendlichen erreichen etwa zur Hälfte die einfache oder erweiterte Berufsbildungsreife (Hauptschulabschluss). Ohne Abschluss verbleiben 23 %, die allerdings die ganze Zeit vom Projektalltag profitieren. 28 % verlassen die Projekte vorzeitig (die Mehrzahl kann als Abbruch bewertet werden).
- Die Zahl der Vermittlungen eines Schulabschlusses und die Rate des frühzeitigen Ausscheidens (Abbrüche) variieren von Projekt zu Projekt: Das beste Projekt erreicht 75 % Schulabschlüsse bei nur 17 % Abbrüche, das schlechteste Projekt 37 % Schulabschlüsse bei 53 % Abbrüche.
- Die männlichen Jugendlichen in den Projekten erreichen den Schulabschluss (Berufsbildungsreife) zu 54 %, die weiblichen Jugendlichen zu 33 %. Die Abbruchrate bei weiblichen Jugendlichen liegt mehr als doppelt so hoch wie die der männlichen Jugendlichen (48 % gegenüber 21 %).
- Die Kooperation zwischen Projekt- und Jugendamtsmitarbeitern muss mit Blick auf die gemeinsame Verantwortung für Abbruch-Kandidaten bzw. Abbrecher verbessert werden.
- Der Besuch der Projekte trägt nach Aussagen der Jugendlichen wesentlich zu einer Befriedung der durch die Schulverweigerung mitbedingten Spannungen im Elternhaus bei. Die Arbeit mit den Eltern könnte in der Regel allerdings noch intensiviert werden.
- Die Kooperation zwischen den Ämtern und Behörden (Stammschule, Freier Träger, Schulträger, Jugendamt, Schulamt, Ministerium), die für die Entwicklung und Durchführung der Projekte wesentlich ist, funktioniert nach Aussagen aller Beteiligten in der Regel sehr gut. Schulämter und Jugendämter besitzen trotz unterschiedlicher fachlicher Kompetenzen und abweichender räumlicher Zuständigkeitsbereiche auch gemeinsame Planungsaufgaben, die in Zukunft noch besser verzahnt werden sollen.