03/2005 08/2006

Prof. Dr. Mathias Schwabe / David Vust / Studierende der EFB

Veröffentlichung
Der Abschlussbericht (PDF Dokument 1.020 kB) ist hier erhältlich. Weiterhin ist eine Präsentation zum Abschlussbericht (PDF Dokument 235 kB) hier erhältlich.

Auftraggeber
Senat für Bildung und Wissenschaft Berlin und Jugendamt Tempelhof –Schöneberg im Rahmen der Umstellung der Berliner Jugendhilfe auf Sozialraumorientierung.

 

Aufgabenstellung
Ziel der Untersuchung war es die Qualität der Hilfeplanprotokolle aus dem Jugendamt Tempel-hof-Schöneberg nach 9 bzw. 14 Kriterien zu beurteilen, die teils der Berliner Verordnung zur Hilfeplanung entnommen sind, teils den Fortbildungsunterlagen der Berlin-weiten Sozialraum-Schulung entstammen, die vom Institut für stadtteilorientierte Sozialarbeit aus Essen (ISSAB) begonnen und von der sozialpädagogischen Fortbildungsstätte Glienecke fortgesetzt und weiter umgesetzt wurden (die Kriterien gehen unten aus dem Punkt „Ergebnisse“ hervor).  Ein Sekun-därziel war es herauszufinden, ob und wenn ja in welchem Ausmaß diese Schulung die Qualität der Hilfepläne verbessern konnte. Dazu wurden die 76 Hilfeplanprotokolle aus der Zeit zwischen 1999 und 11/2004 mit 74 Hilfeplänen ab 1/2005 – 6/2006 verglichen. Die Auswertung erfolg-te im Blindverfahren d.h. den Auswertenden war weder die Jahreszahl bekannt noch die Relevanz der Fragestellung.

 

Methodischer Ansatz
Es wurden 150 Hilfeplanprotokolle aus den Jahren 1999 – 2006 untersucht. Sie gehören zu 47 Fallverläufen, in denen während des Hilfeprozesses je nach Dauer zwischen einem und neun Hilfeplanprotokollen verfasst wurden. Die Hilfepläne wurden von 7 OrtsteilleiterInnen nach pragmatischen Gründen der raschen Verfügbarkeit zusammengestellt. Bestimmte Kriterien wie vermeintlich gute oder besonders „schlechte“ wurden dabei nicht berücksichtigt Aufgrund der Zahl von 150 Einzelplänen kann man davon ausgehen, dass die Stichprobe einen guten statis-tischen Durchschnitt aller Hilfepläne der letzten Jahre darstellen.

Die Kriterienvergabe erfolgte bei den einzelnen Hilfeplänen nach einem intensiven Prozess, in dem Inter-Bobachter-Reliabilität schrittweise entwickelt und verbessert werden konnte. Die Kriterien konnten als erfüllt, teilweise erfüllt oder nicht erfüllt angekreuzt werden. Die verblei-bende Abweichungs- bzw. Fehlerquote bei der Kriteriumsbewertung lag zum Schluss bezogen auf den Unterschied von zwei Bewertungsstufen bei unter 10%, bezogen auf eine Bewertungsstufe bei unter 20%. Eine genaure Schilderung der Methodenanwendung findet die LeserIn in Kap. 3. Neben der Auszählung der 9 bzw. 14 Kriterien pro Hilfeplan und Hilfeplanungskette haben wir zu jedem Fallverlauf einen Essay verfasst, der auf die Besonderheiten der Hilfeplanformulare in diesem Fall eingegangen ist. Dadurch sollten neben der quantitativen Auszählung  auch quali-tative Aspekte untersucht werden. Die Art und Weise des Aufbaus der Essays ist im Methodenka-pitel 3 dargestellt. Die Diskussion der qualitativen Aspekte findet in den Kapiteln 6.3 und 7 statt. Alle 47 Essays und 150 Kriterienbögen sind in einem Sammelordner enthalten, der Ver-treterInnen aus Jugendamt und Senat übergeben wurden.

 

Wesentliche Ergebnisse
Sehr erfreulich fällt die Evaluation der Hilfeplanprotokolle bei den Kriterien 1 „Alltagsnahe Sprache“, 3 „Positive Zielformulierung“ und 4 „Konkretionsgrad“ aus. Bei den ersten beiden Kriterien erfüllen jeweils über  80 % der Hilfeplanprotokolle den fachlichen Anspruch unserer Untersuchung, beim Konkretionsgrad gibt es eine besonders positive Entwicklung seit 2005. Auch die Unterscheidung in „Willen“, „Wünsche“, „Aufträge“ und „Forderungen“ funktioniert befriedigend. Hier fallen allerdings die Negativ-Beispiele besonders oft besonders krass auf (vergl. die Beispiele in Kap. 7.2). Klärungs- und gegebenenfalls auch Handlungsbedarf gibt es u.E. bei den Kriterien 7a „Ansatz an persönlichen Ressourcen“, 2 „Leuchtfeuercharakter der Ziele“, 4 „Richtungsziel, Handlungsziel und Handlungsschritt“ in formaler aber auch inhalt-licher Art und 9 „Ziele für Eltern“ bzw. „Ziele für andere“.

Bezogen auf die Frage, ob die zentrale Schulung zu einer Qualitätsverbesserung beigetragen hat, lassen die reinen Zahlenwerte auf mittlere bzw. geringe Effekte schließen (vergleiche den starken Rückgang der nur „ausreichenden“ Hilfepläne und die geringe Zunah-me der „guten“ und „sehr guten“ Hilfeplanprotokolle in Kap. 5.4). Deutlich verbessert haben sich in den Hilfeplanformularen seit 2005 die so wie so schon gut erfüllten Kriterien „alltags-nahe Sprache“ (um 9 %) und „positive Zielformulierung“ (um 16,9 %). Ebenfalls gab es eine Verbesserung in den Bereichen „Trennung von Wünschen, Aufträgen, Willen etc. (um 9 %), „Anknüpfen an Ressourcen des  Sozialraums“ (um 10,2 %). Die deutlichste Verbesserung lässt sich im Bereich „Konkretisierungsgrad“ nachweisen (um 19,5 %). Hierfür dürfte allerdings ein neues Formular, das unabhängig von der Schulung eingeführt wurde (siehe Formulartyp 2 in Kap. 4 und im Anhang) zumindest auch eine wichtige Rolle gespielt haben. Ausgerechnet im Bereich „Anknüpfen an persönliche Ressourcen“ gab es einen Rückgang der als gut bewerteten Formulare um 9 %. Das verwundert umso mehr als die Fortbildungsunterlagen zu diesem Thema sehr anschaulich und gut verständlich gestaltet sind. Ebenso gab es einen starken Rückgang bei der Kategorie „Nachvollziehbarkeit zwischen Problem, Hilfeform und Zielen“, der aber wesentlich mit dem neuen Formulartyp 2 zusammenhängen dürfte und keinesfalls der Schulung anzulasten ist. Das gilt ebenso für die geringe Berücksichtigung des neuen Zielesche-mas „Richtungsziel, Handlungsziel, Handlungsschritt“, da ein entsprechendes neu gestaltetes Formular, das diese Systematik einfordern und unterstützen würde, bis heute nicht vorliegt.

Die ablesbaren aber eher bescheidenen positiven Verbesserungen sollten jedoch nicht nur als Zahlenwerte gelesen werden. Berücksichtigt man, dass es in den Jahren 2005 und 2006 im Jugendamt Tempelhof-Schöneberg einen weiteren Rückgang an Stellen und eine weitere Arbeitsverdichtung gegeben hat und die MitarbeiterInnen bereits bei der „Evaluation des bisherigen Grades der Verwirklichung der Sozialraumorientierung“ im Sommer 2004 über drohende Erschöpfung klagten, so kann man diese Ergebnisse auch anders interpretieren: Trotz sich verschärfender Arbeitsbedingungen und einem zunehmenden Gefühl der Belastung konnte die Qualität der Hilfeplanung gehalten und an einigen Stellen sogar noch ausgebaut werden. Dafür könnte die Schulung einen wichtigen Beitrag geleistet haben.

 

Welche Fragen hat die Untersuchung aufgeworfen

  • Für wen werden Hilfeplanprotokolle in erster Linie verfasst, Wen soll die ASD-Fachkraft beim Verfassen als wichtigste LeserIn, als zweit wichtigste etc. vor Augen haben? Ist es die AdressatIn, die HelferIn, die KollegIn, die Vorgesetzte oder eine gerichtlich ermitteln-de Instanz? Kann man ein Hilfeplanformular überhaupt so gestalten, dass es unterschied-lichen LeserInnen gerecht wird und deren Ansprüche zufrieden stellt?
  • Wie kann/soll/muss ein Hilfeplanformular aussehen, das einerseits das Hilfeplange-spräch gut vorstrukturiert und verbindliche Gestaltungselemente enthält, andererseits aber genug Freiheit lässt, auf die jeweilige Situation vor Ort und das „Hier und Heute“ dieses besonderen Hilfeplangesprächs einzugehen?
  • Wie verbindlich und genau sollte die Überprüfung der „alten“ Ziele im darauf folgenden Hilfeplangespräch stattfinden? Wie genau sollten Abweichungen zwischen geplantem Ziel und erreichten Ist-Zustand untersucht werden? Wann werden Abweichungen fach-lich als nachvollziehbar oder sogar als sinnvoll angesehen, wann weisen sie auf fachlich unbefriedigende Arbeit oder nicht ernst genommene Absprachen hin?
  • In wie viel Prozent der „Fälle“ halten es die geschulten Basis-MitarbeiterInnen mittler-weile für sinnvoll und möglich sich am „Willen“ der AdressatInnen d.h. an klaren Auf-trägen bzw. einem eindeutigen Veränderungswunsch zu orientieren bzw. erleben, dass die  Ziele der AdressatInnen „Leuchtfeuercharakter“ besitzen?  In wie viel Prozent der „Fälle“ handelt es sich dabei, um eine zwar wünschenswerte, aber zu Beginn des Hilfepro-zesses kommunikativ nicht „herstellbare“ Situation? Wäre ein bescheidenerer aber einlösbarerer Anspruch der,  „Eigenziele“ und „Fremdziele“ theoretisch sauber zu tren-nen, um deren reales Zusammenspiel und deren unvermeidbare Vermischung im Einzel-fall offen zu erörtern und „sauber“ zu dokumentieren? Die Annahme wäre, dass Hilfen in vielen Fällen auch durch die Interessen und Zielen anderer (Personen und Institutionen) zustande kommen und von diesen (mit)geprägt werden, der Adressat aber die Möglich-keit bekommen muss, zu diesen Fremdzielen seine eigene Position zu äußern und (weiter) entwickeln zu können. Hilfeplanung wäre, stärker als momentan propagiert, auch eine notwendige Auseinandersetzung mit Fremdzielen. Ein oder zwei, relativ „reine“ Eigen-ziele wären allerdings für jeden Hilfeprozess, möglichst von Beginn an, anzustreben. Überwiegend „Fremdziel-bestimmte“ Hilfen werden scheitern, wenn es im Hilfeverlauf nicht gelingt sie im Erleben des Adressaten zunehmend mit Eigenzielen zu verbinden.
  • Ist die derzeit propagierte Zielsystematik „Richtungsziel“, „Handlungsziel“, „Handlungs-schritt“ bereits für das erste gemeinsame Hilfeplangespräch komplett einzufordern oder verführt dieser Anspruch nicht häufig zu einer zu schnellen Glättung des erst vor kurzem angelaufenen und wesentlich durch Ambivalenzen bestimmten Prozesses der mühsamen Entwicklung eigener wie gemeinsamer Ziele? Wäre die praktische Ausarbei-tung dieses Zielesystems oder Teile dieses Systems nicht eher die Aufgabe der Freien Träger gemeinsam mit den AdressatInnen?  Sollten die JugendamtsmitarbeiterInnen nicht eher die Angemessenheit (bezogen auf die Problemlagen und Ressourcen) und Konsistenz dieses Zielesystems beurteilen und zu Nachbesserungen anregen bzw. die Umsetzung kontrollieren?
  • Durch welche regelmäßigen Reflexionsschleifen könnten die Mitglieder des Kiezteams dazu gebracht werden sich gegenseitig Feed-Back über die gemeinsam erlebten Hilfeplan-gespräche bzw. die Qualität der Hilfeplanprotokolle geben, die von der Fachkraft des RSD geliefert wurden? Wie könnte eine solche Rückmeldung zwischen Jugendamtsmitarbei-terInnen und anderen MitarbeiterInnen der Freien Träger aussehen, die nicht im Kiez-team vertreten sind?
  • Wie erklären Sie sich die geringe Anzahl der in den Protokollen aufgeschriebenen und mit der Hilfe verknüpften persönlichen Ressourcen der AdressatInnen?
  • Wie hoch schätzen Sie die Bedeutung der strukturellen Rahmenbedingungen (Zeit, Perso-nalausstattung, Zahl der HzE-Fälle pro MitarbeiterIn etc.) für die fachliche Qualität der Arbeitsprozesse und Arbeitsergebnisse der Hilfeplanung ein? Welchen Wirkungs-Spiel-raum können fachliche Ansprüche und methodische Schulungen/Fortbildungen inner-halb welcher Rahmenbedingungen entfalten? Welcher Grad an Arbeitsbelastung macht die Erfüllung fachliche Ansprüche unwahrscheinlich, selbst wenn man sie kennt und selbst für wichtig hält? Welche Formen und wie viel der Arbeitsbelastung lassen sich wiederum durch professionelles Zeitmanagement auffangen bzw. kompensieren? Wer bietet Fortbildungen in Zeitmanagement in Form von praktischem Training „on the job“ an und wer kann sie wem „verordnen“?